Die Corona-Pandemie beeinflusst unser Leben bereits seit über einem Jahr und diese Ausnahmesituation macht vielen Menschen zu schaffen – körperlich, wirtschaftlich, sozial und psychisch. Was macht die Pandemie mit unserer Psyche? Wer ist besonders gefährdet und wie kann ich mich schützen?
Gemäss einer Studie des Bundesamts für Gesundheit (BAG) geht es der Mehrheit der Schweizer Bevölkerung psychisch gut. Es gibt jedoch Gruppen, deren die Corona-Situation stärker aufs Gemüt schlagen. Im Interview der ersten Podcast-Folge «Was macht Corona mit unserer Psyche?» verrät Kerstin Abt-Hilbig, wie man das Beste aus der jetzigen Situation macht. Zu den weiteren Podcast-Folgen.
Kerstin Abt-Hilbig, wer kommt während der jetzigen Situation in Ihre Praxis?
Viele, die schon früher einmal da waren, kommen wieder. Gerade Personen, die wegen Belastungssituationen Probleme haben. Dies kann in der Beziehung oder bei Existenzängsten der Fall sein. Es gibt aber auch Personen, die vorher noch nie professionelle Hilfe nutzten, die jetzt plötzlich unsicher und ängstlich geworden sind. Während des ersten Lockdowns im März hatte ich doppelt so viele Therapieanfragen und Patientinnen und Patienten in meiner Praxis. Im Sommer beruhigte sich die Situation ein wenig und die Anfragen gingen zurück. Als dann die zweite Welle im Herbst kam, wurde es noch schlimmer, da schon die erste Erfahrung aus dem Frühling die Menschen stark prägte.
Wer ist exponiert und hat Veranlagung für psychische Probleme?
Vor allem Menschen, die während der Corona-Krise allein sind, neigen vermehrt zu psychischen Problemen. Das ist vor allem bei älteren Menschen aber auch Alleinerziehenden der Fall. Aber auch schwierige Lebensumstände, familiäre Situationen oder psychische Vorerkrankungen können die Situation verschlimmern.
Wie kommt es dazu?
Die Bevölkerung hat die ganze Situation müde gemacht. Die Hauptgründe sind die eingeschränkte Freiheit aber auch die Ungewissheit, wie lange es noch dauert und was die ganze Situation langfristig für Auswirkungen hat. Die Menschen fühlen sich ausgeliefert und können keinen Einfluss auf die Situation nehmen. Die Einsamkeit setzt ihnen zu. Viele sind allein im Homeoffice und es fällt ihnen schwer, das Private und die Arbeit klar zu trennen. Sie haben wenig Kontakt zur Aussenwelt und fühlen sich einsam.
Wie merkt man es bei sich selbst?
Ein psychisches Problem ist nicht immer einfach zu erkennen. Deshalb ist es wichtig, dass man in sich hineinspürt. Man merkt, irgendwas ist anders als sonst. Meistens werden solche Gefühle ignoriert. «Es wird schon wieder besser», denken viele. Das ist aber der falsche Ansatz.
Die häufigsten Folgen daraus sind folgende Symptome:
- Schlafstörungen
- Antriebslosigkeit
- Gereiztheit
- Müdigkeit
- Ängstlichkeit
- Stimmungsschwankungen
- Konzentrationsstörungen
Wann ist es an der Zeit, sich professionelle Hilfe zu holen?
Falls sich die Symptome verschlimmern und zu einem dauerhaften Zustand heranwachsen, kann es problematisch werden und sogar schwerwiegende Folgen haben. Es ist wichtig, sich rechtzeitig professionelle Hilfe zu holen. Als erster Schritt kann auch ein Gespräch mit Mitmenschen helfen. Oft merkt es die Familie schneller, dass etwas mit einem nicht stimmt oder eine grundlegende Veränderung der Person spürbar ist.
Wo hole ich Hilfe?
Falls die psychischen Symptome länger anhalten und Hilfe benötigt wird, können folgende Institutionen um Rat gefragt werden:
- Psychische Gesundheit: www.dureschnufe.ch
- Wirtschaftliche Sorgen: www.branchenhilfe.ch
- Die Dargebotene Hand (143)
- BAG-Infoline (+41 58 463 00 00)
- Hausarzt
Was kann man im Alltag tun, um sich schon heute besser zu fühlen?
Das Beste aus der Situation machen ist die wohl einfachste Lösung, mit welcher schon heute gestartet werden kann. Anstatt die Situation lange zu hinterfragen, kann man kreativ werden und neue Rituale im Alltag schaffen. Dazu kommt, dass die Rituale auch den Mitmenschen guttun. So kann man zum Beispiel anfangen, ein Menü zu kochen, eine Themen-Woche einzuführen, miteinander in der Familie Zeit zu verbringen, sei es mit Gesellschaftsspielen oder mit einem Skype-Anruf an die Grossmutter. Das Schöne daran ist: Man hat am Schluss ein Ergebnis und freut sich darüber. Ebenfalls ein guter Ausgleich ist Bewegung. Rausgehen und den Kopf durchlüften wirkt schon nach wenigen Minuten.
Die ganze Podcast-Folge können Sie auch auf Spotify hören.
Kerstin Abt-Hilbig ist Fachärztin Psychiatrie und Psychotherapie. In Bonaduz hat sie ihre eigene Praxis, die mehr wie ein Wohnzimmer eingerichtet ist, statt wie ein klassisches Psychiater-Zimmer. Die Patientinnen und Patienten sollen sich wohl und wie zu Hause fühlen.