Seit über 20 Jahren bildet der Tarif TARMED die Grundlage für die Abrechnung ambulanter ärztlicher Leistungen in der Schweiz. Er umfasst Tausende einzelne Positionen und deckt nahezu alle ärztlichen Leistungen ab. Mittlerweile ist das System veraltet: Technische Leistungen werden oft besser vergütet als Beratungsgespräche, und viele moderne Behandlungsmethoden werden nicht angemessen abgebildet.
Ab 01. Januar 2026 treten TARDOC, der neue Einzelleistungstarif, sowie erste ambulante Pauschalen in Kraft. Die Organisation ambulante Arzttarife (OAAT AG) koordiniert das System mit den Zielen:
- Fehlanreize beseitigen,
- die Vergütung fairer gestalten,
- die Grundversorgung stärken und
- gleichzeitig Kostenneutralität gewährleisten.
Patrick Heinz, ÖKK Bereichsleiter Leistungen, steht Frage und Antwort zum neuen Tarifsystem «TARDOC»:
Patrick Heinz, was verbirgt sich hinter dem kryptischen Begriff «TARDOC»?
TARDOC steht für «Tarif für ambulante ärztliche Leistungen und Dokumentation». Es beschreibt den neuen Einzelleistungstarif, der nächstes Jahr in Kraft tritt und damit seinen Vorgänger, TARMED (Tarif médical), ablöst.
Warum ist dieser Wandel nötig?
Das alte Tarifsystem wurde 2004 eingeführt. Seitdem haben sich die medizinische Praxis und Technik stark weiterentwickelt, sodass die alten Tarife heute ambulante Leistungen teilweise falsch abbilden. TARDOC hingegen ermöglicht eine zeitgemässe Bewertung der medizinischen und technischen Leistungen.
Können Sie uns ein Beispiel geben?
Eine Operation, die 2004 noch einen grossen Eingriff bedeutete, wird heute vielleicht dank modernerer Technik minimalinvasiv in einem Bruchteil der Zeit durchgeführt. Ein weiteres Problem des alten Tarifs ist, dass er Fehlanreize provoziert hat. Beispielsweise wurden technische oder operative Leistungen oft besser vergütet als das Gespräch mit den Patient*innen – die sogenannte «sprechende Medizin» (z. B. Beratung, Diagnosefindung, Anamnese). Ein Arzt oder eine Ärztin hatten also einen finanziellen Anreiz, eher ein Gerät einzusetzen, als sich Zeit für eine eingehende Beratung zu nehmen. TARDOC versucht, dieses Ungleichgewicht zu korrigieren und intellektuelle Leistungen wie die Diagnosefindung wieder höher zu gewichten.
TARDOC im Schnellcheck
TARDOC ist das neue Abrechnungssystem für ärztliche Behandlungen, die ambulant – also ohne Spitalübernachtung – durchgeführt werden. Zusammen mit ambulanten Fallpauschalen löst es am 1. Januar die bisherige Tarifstruktur TARMED ab. Mit TARDOC wird festgelegt, wie Ärzt*innen ihre Leistungen verrechnen dürfen. Zusätzlich werden 315 neue Pauschalen für bestimmte ambulante Behandlungen eingeführt.
Für Versicherte ändert sich die inhaltliche Struktur von Leistungsabrechnungen.
TARDOC ist nicht die einzige Neuerung bei der Vergütung ambulanter Behandlungen – welche Rolle spielen Fallpauschalen?
Wie im stationären Bereich werden jetzt auch ambulant Pauschalen eingeführt, zunächst 315 an der Zahl. Das bedeutet, dass für klar definierte, standardisierte Behandlungen wie dem Batteriewechsel eines Herzschrittmachers oder der Implantation einer Medikamentenpumpe nicht mehr jede Einzelleistung abgerechnet wird, sondern ein Fixpreis gilt. Das schafft Kostentransparenz und verhindert, dass unnötige Einzelleistungen durchgeführt werden.
Wird der Tarifwechsel die Gesundheitskosten senken?
Kurzfristig nicht. Immerhin ist die Einführung von TARDOC kostenneutral geplant. Das bedeutet, dass im Moment der Umstellung die Gesamtsumme aller Arztrechnungen nicht höher sein darf als mit dem alten Tarif. Langfristig soll der Wechsel schon die Kosten senken, eben durch die Pauschalen, die mehr Effizienz durch standardisierte Prozesse und weniger Fehlanreize schaffen. Ausserdem wurden auch die Einzelleistungen von 4’500 auf 1’400 bei TARDOC reduziert.
Klingt vernünftig – warum waren TARDOC und die Fallpauschalen trotzdem so umkämpft?
Weil es bei der Neubewertung der Leistungen Gewinner und Verlierer gibt. Zudem sind mit dem Einzelleistungstarif und den Pauschalen zwei grundsätzlich verschiedene Philosophien zur Steuerung der Gesundheitskosten aufeinandergeprallt, die von den jeweiligen Interessengruppen vehement verteidigt oder bekämpft wurden.
Was ändert sich für mich als ÖKK Kund*in durch das neue Tarifsystem?
Nicht viel. Die medizinischen Behandlungen bleiben dieselben. Nur die Optik der ambulanten Arzt- und Spitalrechnungen ändert sich.
Und was ändert sich für ÖKK?
Wir haben unser Rechnungsprüfsystem grundlegend umgebaut und technische sowie prozessuale Anpassungen vorgenommen. Parallel dazu haben wir Schulungen durchgeführt und unsere fachliche Expertise geschärft. Wir dürfen nicht vergessen: Das neue Tarifsystem betrifft bei uns rund 25’000 Belege wöchentlich und ein Leistungsvolumen von etwa 300 Millionen Franken jährlich. Da darf nichts schiefgehen. Deshalb haben wir in den letzten Monaten bereits Testläufe mit Leistungserbringenden durchgeführt. Wir sind bereit.
Für Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider ist TARDOC ein «Meilenstein» für das Gesundheitswesen. Übertrieben?
Wenn man über zehn Jahre lang versucht, einen gordischen Knoten im Gesundheitswesen zu entwirren, dann fühlt sich der Moment, in dem er sich endlich löst, ganz sicher wie ein Meilenstein an.
Patrick Heinz

Patrick Heinz ist Bereichsleiter Leistungen bei ÖKK.
Kundenmagazin Clever 4/2025
Dieser Beitrag erschien im Kundenmagazin Clever. Entdecken Sie noch weitere Beiträge zum Thema Wandel und Neuanfang.


