Achtsamkeit (Mindfulness) und Digital Detox, einst Nischenthemen, sind heute in Magazinen, gesellschaftlichen Debatten und auf Social Media allgegenwärtig. Viele Menschen fühlen sich dennoch erschöpft, überlastet oder dauerhaft angespannt.
Mentalcoach Patrik Schawalder beschreibt im Allegra-Podcast eine «Funktionsgesellschaft», in der Leistung Vorrang hat und Pausen als Schwäche gelten. Dabei sind diese entscheidend für Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Lebensqualität.
Achtsamkeit als Trend – und notwendige Gegenbewegung
Der Wunsch nach Ruhe hat eine ganze Branche hervorgebracht: Fokus- und Meditations-Apps; Digital-Detox-Angebote; Retreats und Wearables, die die «body battery» tracken. Auch Betriebssysteme bieten heute Funktionen, die Pausen begünstigen, Nutzungsgrenzen setzen oder augenschonende Modi aktivieren.
Dieser Trend zeigt sich auch im Arbeitsalltag: Flexibel gestaltete Arbeitsplätze, bewusst eingerichtete Räume, Pflanzen und passende Beleuchtung sollen mehr Ruhe und Konzentration ermöglichen – in vielen Berufen aber nur schwer umsetzbar.
Technische Hilfen wie Wearables können unterstützen, ersetzen jedoch nicht das eigene Körpergefühl. Wer sich ausschliesslich auf Daten verlässt, verliert leicht die Verbindung zur eigenen Intuition.
Energie bewusst steuern – warum Zeit allein nicht reicht
Energiemanagement wird zunehmend zur Schlüsselkompetenz unserer Zeit. Statt Zeit noch effizienter zu planen (Zeitmanagement), geht es beim Energiemanagement darum, die eigene Energie zu verstehen, zu schützen und gezielt aufzubauen. Oft fehlt nicht Zeit – sondern Energie.
Zentrale Fragen sind: Was stärkt mich? Was erschöpft mich? Wofür setze ich Energie sinnvoll ein? Prioritäten zu setzen schafft Klarheit. Gleichzeitig hilft ein mentaler Perspektivwechsel, bewusster mit der eigenen Energie umzugehen: «müssen» häufiger durch «wollen» zu ersetzen.
Wissenschaftlich beruht Energiemanagement auf Systemen im Gehirn, die Fokus, Motivation, Stressreaktionen und Emotionsregulation steuern. Chronischer Stress schwächt wichtige Hirnregionen und führt zu Erschöpfung, Konzentrationsschwierigkeiten, Schlafproblemen und emotionaler Instabilität. Mit echter Erholung können sich viele dieser Strukturen regenerieren.
Was dem einen Kraft gibt, wirkt auf andere neutral oder sogar erschöpfend. Zu den grössten Energieräubern gehören:
- Sorgen und Grübeln
- übervolle Kalender
- Perfektionismus, der nie zufrieden sein lässt
- fehlende Ruhephasen besonders im Arbeits- und Familienalltag
- digitale Dauerverfügbarkeit und Informationsüberlastung
- schlechter Schlaf, oft durch Stress oder Informationsüberlastung
Bei dauerhafter Überlastung rutschen Menschen in einen «Tunnelmodus» - einen Zustand innerer Unruhe, in dem Erschöpfung kaum noch wahrgenommen wird.
Wie Körper und Gehirn auf Stress reagieren
Wird Stress wahrgenommen, aktiviert sich die HPA-Achse – ein biologischer Alarmmechanismus:
- Der Hypothalamus registriert Gefahr.
- Die Hypophyse schüttet Hormone aus.
- Die Nebennieren produzieren Cortisol.
Das Hormon Cortisol erhöht kurzfristig die Leistungsfähigkeit: Herzschlag, Muskelspannung und Glukosefreisetzung steigen. Gleichzeitig fährt der Körper aber alles herunter, was gerade «nicht überlebensnotwendig» ist: Verdauung, Immunfunktion, Schmerzempfinden, Sexualtrieb.
Langfristige Auswirkungen von Dauerstress sind unter anderem erhöhte Entzündungsneigung, Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen, geringere Konzentrationsfähigkeit. Rückgang der grauen Substanz in wichtigen Hirnregionen, emotionale Erschöpfung und Burnout-Risiko.
Erholung ist deshalb kein Luxus – sie ist ein biologisches Muss.
Pausen neu lernen
Viele Menschen haben verlernt, richtig Pause zu machen. Kurze Momente werden oft genutzt, um Mails zu beantworten, durch soziale Medien zu scrollen oder kleine Aufgaben zu erledigen: ein Tätigkeitswechsel, aber keine Erholung. Ob auf dem Smartphone, auf Plakaten, in Gesprächen oder in der Bahn, wir werden täglich mit Milliarden Reizen konfrontiert, von denen wir nur einen Bruchteil bewusst wahrnehmen.
Patrik Schawalder führt im Allegra-Podcast ein treffendes Beispiel an: «Raucher*innen nehmen sich bewusst Zeit für eine Pause, während Nichtraucher*innen sie oft auslassen.»
Echte Erholung bedeutet Reizreduktion: ein Heissgetränk bewusst geniessen, tief durchatmen, kurz nach draussen gehen oder einfach nichts tun.
Studien zeigen, dass schon eine Woche ohne Dauerüberlastung die mentale Leistungsfähigkeit deutlich verbessert. Entscheidend sind regelmässige kleine Erholungsmomente - nicht lange Ferien.
Mental Coaching als Unterstützung
Mental Coaching bietet eine individuelle, zielorientierte Begleitung, die mit mentalen Techniken konkrete Veränderungen ermöglicht. Während Psychotherapie häufig das «Warum» beleuchtet, fokussiert Coaching auf das «Wie weiter?». Es hilft, Bedürfnisse wahrzunehmen, Grenzen zu setzen und Prioritäten zu klären.
Viele Menschen haben Mühe, Überlastung anzusprechen. Perfektionismus und Erwartungsdruck stehen im Weg. Coaching stärkt dieses Bewusstsein und unterstützt einen gesunden Umgang mit Energie.
Wege zu mehr Energie im Alltag
Zu den wichtigsten Kraftquellen zählen soziale Nähe, Natur, Bewegung, Kreativität, Ruhe, Spiritualität, Reflexion, und körperliche Entspannung. Fragen wie «Will ich das wirklich - oder tue ich es nur aus «Pflicht»?» oder «Gibt es mir Energie zurück?» helfen, eigene Energiequellen zu erkennen. Wissenschaftlich nachweislich wirksam sind:
Bewegung (z. B. moderates Ausdauertraining, Krafttraining oder Yoga),
Achtsamkeit und Meditation (kurze Übungen reichen aus),
kognitive Stimulation (z. B. neue Hobbys, lesen, lernen),
soziale und emotionale Fähigkeiten (z. B. Gespräche, Beziehungen)
und ein gesunder Lebensstil (ausreichend Schlaf, ausgewogene Ernährung, Stressmanagement).
Diese Bereiche stärken unser Wohlbefinden: Sie fördern die graue Hirnsubstanz, verbessern die Stimmung, Resilienz sowie Gedächtnis, und stabilisieren die Emotionen.
Zu vermeiden sind dauerhaftes Rückziehen, Isolation, ständige Belastungsvermeidung oder pessimistische Selbstsicht.
Energiemanagement ist hoch individuell
In einer schnelllebigen Welt wird Energiemanagement zur Notwendigkeit. Es bedeutet nicht, perfekt zu funktionieren, sondern bewusst zu entscheiden, wofür wir unsere Energie einsetzen und wie wir sie wieder aufladen. Wie Schawalder im Podcast sagt: «Am wichtigsten ist der eigene Weg – und was sich für dich selbst richtig anfühlt.»
Ein bewusster Umgang mit der eigenen Energie stärkt nicht nur das Wohlbefinden – sondern auch die langfristige Gesundheit.





